Robert Musil: Die Amsel

30/06/2022

Robert Musil: Die Amsel


Eine Kurzgeschichte, in der direkt drei sonderbare Erlebnisse eines Menschen von diesem selbst erzählt werden. Geschichten, die den Rahmen des vorherbestimmten Lebens, das man in den Städten des frühen 20. Jahrhunderts (hier Berlin) so zu führen hatte wie in den darauf folgenden Phasen der Moderne. 

Doch bei aller Vorhersagbarkeit lässt sich das „unbegreifliche Element“, von dem Musil schon auf der ersten Seite der Erzählung spricht, nicht rauskürzen aus der Gleichung des modernen Lebens. 

ein paar Gedanken anlässlich meiner Lesungen des Textes im Juli 2022 in Köln


Was die Erzählung für mich als Stimmkünstler so faszinierend und interessant macht, ist Musils Strategie, das Unbegreifliche immer in Verbindung mit Klang oder hörbaren Ereignissen auftauchen zu lassen. Als Gesang der Amsel, als schwirrendes Pfeifen eines Fliegerpfeils oder als Vogel, der plötzlich sprechen kann. Immer wird das Ereignis in erster Linie gehört erfahren. 

Man könnte „Die Amsel“ als eine Antwort auf das Diktum von Max Weber von der „Entzauberung der Welt“ lesen. Die Entzauberung kann nicht gelingen. Die Welt und besonders die Ereignisse, die das Leben der Menschen bestimmen, lassen sich nicht in den Käfig der Rationalität einsperren. Die Frage ist nur, ob wir (der moderne Mensch) in der Lage sind, damit umzugehen. Denn sie machen keinen Sinn! Bestenfalls so wie ein Traum Sinn macht. (Traumdeutung à la Freud und Jung ist der sehr moderne Versuch, die durch den Rationalismus ausgegrenzten Bereiche des Umgangs mit dem Leben wieder zu integrieren.) Musil spricht am Ende der Geschichte davon, dass sie „Sinn macht“ nur „wie wenn du flüstern hörst oder bloß rauschen, ohne das unterscheiden zu können“.

Verhandelt werden in diesem Rahmen von Musil Fragen der Moralität und der Religiösität. Wie kann in einer Welt, die streng unterscheidet zwischen dem rationalen Teil und dem vermeintlich sinnlosen, doch immer noch wirksamen, moralisches Handeln bestimmt werden? Was heißt es außerdem, metaphysische Erlebnisse zu haben? Außerdem geht es immer wieder um den Körper, der sich der Einhegung in die Rationalität entzieht.

Die Amsel ist ein Text, der bei aller Zeitbezogenheit Themen behandelt, von denen wir neu lernen müssen, sie ernsthaft durchzudenken, ohne im Rationalismus einerseits oder einer vernunftsfeindlichen Esoterik andererseits hängen zu bleiben. Musil wusste übrigens schon, dass in der Moderne die Kunst die Sphäre ist, in der die Themen behandelt werden können. 

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